Gerechte Wohnraumversorgung aus gesellschafts- und kirchenpolitischer Sicht
Gute Wohnungs(bau)politik ist eine der zentralen gesellschaftlichen und sozialen Fragen unseres Landes. Sie erfordert wesentliche Anstrengungen in Bund und Ländern sowie in den Kommunen – und nicht zuletzt auch von den Kirchen.
Laut dem aktuellen Wohnungslosenbericht der Bundesregierung sind derzeit etwa 263.000 Menschen in Deutschland wohnungslos, 14 % der Wohnbevölkerung sind laut Studie zum Mikrozensus finanziell überfordert. Dies gilt mit zunehmender Tendenz, gerade auch aufgrund gestiegener Energie- und Lebenshaltungskosten. Das Preisniveau der Mieten vor allem in Ballungsräumen ist sehr hoch – und hohe Mieten tragen wesentlich zur Armut vieler Menschen bei.
Durch die seit Jahren vorbildlichen bayerischen Stichtagserhebungen können wir für unser Bundesland konkret ablesen, dass sich die Zahl der von Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen seit 2014 auf mittlerweile mehr als 20.000 Menschen annähernd verdoppelt hat – allein in Schwaben, Oberbayern und Niederbayern betrifft dies mindestens 3.510 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.
Ein Blick hinter die Zahlenkulisse verrät, dass in strukturstarken Regionen Menschen teilweise trotz Vollbeschäftigung keinen leistbaren Wohnraum finden und so im Einzelfall gar auf einen Platz in einer Einrichtung der Wohnungsnotfallhilfe angewiesen sind. „Wohnungslos trotz Vollerwerbstätigkeit“ – in den Metropolregionen wie München sind Teile der sogenannten gesellschaftlichen Mitte – Stichwort Niedriglohnsektor und unterbezahlte Berufe – mit einem die Existenz bedrohenden Armutsrisiko konfrontiert. Schon zwischen 1993 und 2013 war beim nach Einkommen untersten Fünftel der Bevölkerung der Anteil der Miete von 27 % auf 39 % gestiegen, eine aktuelle Studie der Humboldt- Universität Berlin weist sogar 40 % der Gesamtbevölkerung aus, die deutlich mehr als 30 % bis hin zu
60 % ihres Haushaltseinkommens allein für die Miete aufwenden müssen.
Die Versorgung mit geeignetem und vor allem bezahlbaren Wohnraum ist die soziale Frage der Gegenwart, an der sich auch die Zukunft unserer Gesellschaft und Demokratie mitentscheidet. Der bekannte Ausspruch des damaligen Kölner Kardinals Josef Frings, wonach Wohnungsbau „Dombau“ sei, ist nach wie vor aktuell und richtig. Dies gilt heute ganz genauso wie in der Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg.
Deshalb hat sich das Landeskomitee der Katholiken in Bayern als landesweite Vertretung des Laienkatholizismus zum Ziel gesetzt, auf kirchlicher, gesellschaftlicher und politischer Ebene mit diesem Thesenpapier einen wohnungspolitischen Impuls zu setzen.
Wie eine Umfrage des Landeskomitees unter den bayerischen (Erz-)Diözesen und kirchlichen Wohnungsbaugesellschaften gezeigt hat, ist gerade im sozial geprägten Wohnungs- und Siedlungsbau kirchliches Engagement vorhanden. Es gilt, diesen Einsatz weiter auszubauen.
Wegen der zentralen Bedeutung des Themas „Wohnen“ ergeben sich aus Sicht des Landeskomitees Thesen und Leitsätze für das politische und kirchliche Handeln:
- Wohnraumversorgung muss auf allen politischen Ebenen Priorität erhalten. Generell muss das Engagement in diesem Bereich auf Bundes- und Landesebene wie in den Kommunen deutlich verstärkt werden und eine höhere Dynamik bekommen.
- Eines der obersten Ziele ist die Vermeidung von Obdachlosigkeit. Die Schaffung eines nationalen Aktionsplanes, wie er im ersten Bericht zur Wohnungslosigkeit vorgeschlagen wird, muss auch die Möglichkeiten der Kirchen umfassen. Hierzu gehört auch eine verstärkte Unterstützung von Konzepten und Projekten zur Prävention und Vermeidung von Obdachlosigkeit auf Landesebene und in den Kommunen angesichts der Zwangsräumung von etwa 30.000 Wohnungen jährlich in Bayern.
- Projekte zum sozialen Wohnen müssen in den kirchlichen Verbänden, Wohnungsbaugesellschaften, (Erz-)Diözesen und vor allen Dingen auch in den Pfarreien mit ihren Kirchenstiftungen trotz prognostizierter zurückgehender Kirchensteuereinnahmen Priorität haben.
- Da der Bedarf (mehr Wohnungsbau) und steigende Baukosten dies erfordern, müssen die öffentlichen Mittel auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene von jeweils 3 Mrd. Euro jährlich weiter erhöht werden.
- Die Wohngemeinnützigkeit als steuerrechtliches Prinzip muss endlich wieder hergestellt werden, da sich dieser Weg im Hinblick auf einen preisgünstigen Wohnungsbau mehr als bewährt hat. Sobald die im Bund bereits beschlossene (Wieder-)Einführung der Wohngemeinnützigkeit in einem Gesetzestext operationalisiert worden ist, muss dieses Instrument zur Herstellung von preisgünstigem Wohnraum gerade für die einkommensschwachen Bevölkerungsschichten konsequent von Bund, Land, Kommunen sowie Bauträgern und Bauträgerinnen Anwendung finden. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sind gefordert zu prüfen, ob sie entsprechende Organisationsformen gestalten und damit selbst sinnvoll als Bauträger bzw. Bauträgerinnen auftreten können.
- Wie vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) in einem Beschluss seines Hauptausschusses am 27. Januar 2023 gefordert, müssen Wohnraumakquise und Vermittlung von Wohnraum sowie die Vermietung von Wohnungen in eigenen Immobilien zu einer festgelegten Quote an von Armut Betroffene gesteigert werden. Zudem müssen eigene bebaubare Grundstücke für sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stehen. Gebäude und Grundstücke sollen außerdem der Caritas und deren Fachverbänden günstig für auf dem Wohnungsmarkt benachteiligte Personen überlassen werden.
- Der Ausbau von Wohnungsbaugenossenschaften und deren Neugründung sowie Stabilisierung fördert gutes Wohnen. Genossenschaften haben sowohl in der bayerischen wie der deutschen Geschichte wesentlich zum verlässlichen Aufbau und Ausbau von Wohnraum beigetragen. Sie sind ein tragendes Element der Katholischen Soziallehre. Diesen Gedanken gilt es wieder vermehrt aufzugreifen.
- Die Beibehaltung der Mieterschutzbestimmungen trägt in Städten wie auch in ländlichen Regionen ganz wesentlich zum sozialen Frieden bei.
- Niedrigschwellige Anlauf- und Beratungsstellen, die von der Caritas und ihren Fachverbänden, wie etwa dem Sozialdienst katholischer Frauen (SkF), dem Sozialdienst katholischer Männer (SKM) oder dem Katholischen Männerfürsorgeverein (KMFV), angeboten werden, sind zu unterstützen; kommunale Kooperationen sind zu fördern.
- Nachhaltiges Bauen und Sanieren, Energieeinsparungen und Energieeffizienz sind in Zukunft aus Gründen des Klimaschutzes wie auch zur Kosteneinsparung von noch größerer Bedeutung. Hierfür müssen geeignete und verlässliche Förderprogramme geschaffen werden.
- Beschleunigung und Entbürokratisierung im Wohnungsbau haben hohe Dringlichkeit und helfen allen.
- Der Anstieg der Bodenpreise ist die Haupttriebfeder für die steigenden Wohnkosten in Ballungsräumen. Wir brauchen eine neue Bodenordnung – nur dann wird auch Wohnen wieder bezahlbar. Daher fordert die Bayerische Verfassung zur Herstellung der für unsere Demokratie so existenziell notwendigen sozialen Gerechtigkeit in Artikel 161 dazu auf, dass Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, für die Allgemeinheit nutzbar zu machen sind. Eine Reform der Bodenbesteuerung, die eine gemeinwohlorientierte Wohnraumpolitik im Blick hat und zwischen unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten differenziert, würde bewirken, dass leistungslose Steigerungen des Bodenwertes abgeschöpft und für Aufgaben der kommunalen Daseinsfürsorge genutzt werden können. Es geht hier nicht um das zum Wohnen oder Erwerb dienende Boden- und Immobilieneigentum breiter Schichten der Bevölkerung, sondern ausschließlich und gezielt um jene Immobilienvermögen, die gewerbsmäßig betrieben und gehandelt werden und vor allem auf Maximalrenditen aus Bodenwertsteigerungen angelegt sind. Unser Finanzsystem baut ganz wesentlich auf Boden und Immobilien auf; mehr als 50 % der Kredite an Unternehmen und Haushalte sind durch Boden besichert, 80 % des Vermögens von Haushalten ist Immobilienbesitz. Als Gesellschaft stehen wir vor nichts weniger als der Herausforderung, Gemeinwohl und Eigentum so auszutarieren, dass existenzielle Gefährdungslagen wie Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit nicht verfestigt werden und mit Blick auf die gegenwärtigen Entwicklungen der letzten Jahre vermehrt auftreten. Hierzu braucht es eine Wende am Wohnungsmarkt um 180 Grad.
Mit diesen Thesen und Leitsätzen möchte das Landeskomitee der Katholiken in Bayern einen Impuls für den weiteren notwendigen Dialogprozess zu diesem zentralen Thema zwischen allen beteiligten Akteuren in Kirche, Politik und Gesellschaft geben.
Vom Geschäftsführenden Ausschuss des Landeskomitees einstimmig beschlossen.
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Beitragsbild Adobe Stock / Soho a Studio