Europa – auf dem Weg zur Einheit
Der bisherige wirtschaftliche und politische Einigungsprozess Europas kann trotz mancher Schwierigkeiten als Erfolgsgeschichte bezeichnet werden: ein gutes Argument für Europa.
Seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt Europa in weiten Teilen eine mehr als 70 Jahre währende Periode des Friedens, des Wohlstands und der Begegnung von Menschen: das beste Argument für Europa.
Von der friedlichen Entwicklung waren bis vor einigen Jahren mehrere Gebiete Mittel- und Osteuropas ausgenommen, die von äußeren und inneren Konflikten gezeichnet waren, die nun aber Frieden und Stabilität erleben: erst recht ein Argument für Europa.
Spannungsfelder bleiben
Wir richten als Landeskomitee der Katholiken in Bayern unser Augenmerk bei der Herbstvollversammlung auf Spannungsfelder, die trotzdem bleiben, gerade in Mittel- und Osteuropa. Allen ist bewusst, wie fragil der äußere Frieden, mehr noch aber der innere Frieden in Europa ist. Bei den Debatten um die geopolitische Ausgestaltung eines geeinten Europa sollte die biblisch-christliche Sicht des Menschen, seiner personalen Würde und seiner individuellen Freiheit, in Verbindung mit den Sozialstaatsprinzipien Personalität, Solidarität, Subsidiarität, Gemeinwohl und Nachhaltigkeit im Mittelpunkt stehen. Wir sind der festen Überzeugung, dass dieses Europa eine einzigartige Zukunft vor sich hat, wenn es nach Einheit, Frieden und Humanität strebt.
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Gutes Geld für gute Arbeit
Der hohe Lebensstandard in einigen Ländern, wozu auch Deutschland gehört, ist nicht nur auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der dort lebenden Menschen zurückzuführen, sondern beruht oft auch auf mangelhaften Standards für Arbeitskräfte, die zu Dumpinglöhnen ihre Dienste verrichten. Diese reduzierten Produktionskosten schlagen sich in billigen Preisen für unterschiedliche Güter nieder. Hier ist die Politik gefragt, mit Tariftreue und Vergaberegeln ein solches Lohndumping in Zukunft zu verhindern.
Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, dass wir als Verbrauchende den eigenen Lebensstil hinsichtlich der Qualität und Werthaltigkeit der Produkte und Lebensmittel, die wir erwerben, im Sinn einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft überprüfen und entsprechend handeln.
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Zwangsprostitution beenden
Mit der Frage des Lebensstils und der Nachfrage nach billigen Preisen hat ein besonderes Problem zu tun: die Zwangsprostitution. Viele junge Frauen und mittlerweile auch Männer werden unter Vorspiegelung falscher Versprechungen auf ein „besseres Leben“ nach Deutschland gelockt, wo sie unter hoffnungslosen Zuständen ein Leben in totaler Abhängigkeit führen müssen.
Deshalb setzen wir uns dafür ein, alle Anstrengungen zu unternehmen, um Frauen und Männern Zwangsprostitution zu ersparen. Bildung und Lebensverhältnisse müssen in ganz Europa so gestaltet sein, dass zwielichtige Lockversuche keine Chance haben.
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Wirtschaftliche und soziale Verhältnisse annähern
Um die Sehnsucht vieler Menschen zu lindern, das eigene wirtschaftliche Heil in einem wirtschaftlich starken und sozial sicheren Land wie Deutschland zu suchen, müssen deutlich größere Anstrengungen auf politischer Ebene als bisher unternommen werden. Nur wenn es gelingt, die sozialen und ökologischen Standards unter Berücksichtigung der eigenen Situation in Europa einander anzunähern oder anzugleichen, kann diese Tendenz gestoppt werden.
Deshalb setzen wir uns dafür ein, Menschen aus dem osteuropäischen Raum nicht zur Behebung unseres Fachkräftemangels anzuwerben, wenn nicht gleichzeitig in diesen Ländern die Fachkräfteausbildung unterstützt wird. Dies erfordert ein hohes Maß an Bildungsförderung in allen Ländern. Solidarität und Fairness verlangen von uns, dass Arbeitskräfte, die in unser Land kommen und ihre Leistung hier einbringen, die gleiche Bezahlung erhalten.
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Nationalismen überwinden
Nationale Interessen bis hin zu Nationalismen nehmen zu. Viele Einzelne, aber auch ganze Staaten und zum Teil sogar kirchliche Gemeinschaften treibt die Sorge um, zu kurz zu kommen und von den wirtschaftlich Starken verdrängt zu werden. Sie wollen ganz bewusst vorrangig ihre eigenen Interessen durchsetzen. Solche egoistischen Vorstellungen gefährden die Demokratie in den einzelnen Ländern und in ganz Europa. Die Spannungen in Europa nehmen dadurch weiter zu.
Deshalb setzen wir uns dafür ein, egoistische Abgrenzungsmechanismen zu überwinden. Nationalismus und Populismus helfen langfristig weder den Regierungen noch der Wirtschaft und erst recht nicht den einzelnen Menschen in den betreffenden Ländern. Wirtschaftlicher Erfolg, mehr noch aber der soziale Friede sind wesentlich vom Austausch und Dialog abhängig. Nur wer selbst bereit ist Schwächeren zu helfen, kann in Notlagen auch Hilfe von anderen erwarten.
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Europa eine Seele geben
Der Wille zur Zugehörigkeit zu Europa ist ungebrochen. Wenn es um die Mitgliedschaft in der Europäischen Union geht, sind nicht selten wirtschaftliche Interessen ausschlaggebend, um an den Vorteilen einer großen Freihandelszone mit entsprechend kaufkräftigen Märkten teilhaben zu können. Eine Verständigung über die gemeinsamen kulturellen, sozialen, politischen und religiösen Grundlagen in einem größer werdenden Europa steht dagegen häufig aus. Viele Menschen spüren, dass ein Binnenmarkt noch nichts über eine Einigung in Wertefragen aussagt.
Deshalb setzen wir uns dafür ein, ein Einvernehmen darüber zu erzielen, was Europa im Innersten zusammenhält. Europa ist mehr als eine Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft. Alle Bürgerinnen und Bürger, vor allem jedoch politisch Verantwortliche rufen wir dazu auf „Europa eine Seele zu geben“, wie es Jacques Delors, früherer Präsident der Europäischen Kommission, ausdrückte.
Vernetzung und Partnerschaft lernen und einüben –
die katholische Kirche kann gute Dienste leisten
Die katholische Kirche als global player sollte in der Lage sein, wertvolle Unterstützung anzubieten. Die Prinzipien der katholischen Soziallehre können eine tragfähige Grundlage für ein funktionierendes Gemeinwesen auch für ein einiges Europa sein: Personalität – Solidarität -Subsidiarität – Gemeinwohl – Nachhaltigkeit.
Deshalb werden wir die Bischöfe Europas zu einem strukturell und personell überzeugenden Auftritt ermutigen. Mit der Kommission der Europäischen Bischofskonferenzen (COMECE) gibt es zwar einen Rahmen, der aber bislang nur bedingt kampagnenfähig ist. Innerhalb des katholischen Laienapostolats werden wir für eine deutlich intensivere Vernetzung auf europäischer Ebene als bisher eintreten. Dazu fordern wir die Durchführung eines Europäischen Katholikentages bis zum Jahr 2026. Er kann Ausdruck soliden Brückenbaus sein, der Nationalismus und Populismus überwindet.
Als Landeskomitee der Katholiken in Bayern werben wir für eine Ideenwerkstatt, die den Einigungsprozess in Europa so voranbringt, dass Nationalismen, Ängste und reale Benachteiligungen bald der Vergangenheit angehören. Sie soll das Vertrauen in ein starkes Europa fördern, das sich nicht selbst genug ist, sondern über den eigenen Tellerrand hinausblickt und zum Vorbild einer Staatengemeinschaft auch für andere Kontinente auf unserer Welt wird. Katholische und nationalistische Denkweise widersprechen sich.
An der Erstellung des Konzepts für eine solche Ideenwerkstatt sollten nicht nur die kirchlichen Hilfswerke, sondern auch die Jugendverbände und andere Vereinigungen des katholischen Laienapostolats mitwirken, die sich für ein starkes, weltoffenes Europa einsetzen. Partnerschaften auf lokaler und regionaler Ebene werden bereits im kirchlichen und im kommunalen Bereich gepflegt und können Vorbild für weitere Kooperationen über Ländergrenzen hinweg sein.
Europa ist mehr
Europa ist mehr als eine politische Union. Europa ist mehr als eine Wirtschaftsunion. Europa ist mehr als eine Währungsunion. Europa sollte eine Werteunion werden.
Europa braucht eine Einigung in den Herzen. Europa braucht eine Seele. Europa braucht mutige Menschen, die es mit Geist und Leben füllen können. Hierzu einen Beitrag zu leisten, ist Ziel dieser Stellungnahme des Landeskomitees.
Von der Mitgliederversammlung am 17. November 2018 in Regensburg einstimmig beschlossen.
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Beitragsbild: Grecaud Paul / Adobe Stock