Der jüngst unternommene Vorstoß von Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, eine gesetzliche Regelung auf den Weg zu bringen, wonach künftig in jeder bayerischen Kommune an vier Sonntagen im Jahr ohne konkreten Anlass Geschäftsöffnungen möglich werden sollen, hat völlig unnötig einen neuerlichen Krach um den gesetzlichen Sonntagsschutz entfacht. Aiwangers Vorstoß ist an Ignoranz kaum zu übertreffen, da so getan wird, als ob es ein zu definierendes Recht auf Geschäftsbetrieb und Ladenöffnung am Sonntag gebe.
Das Gegenteil ist der Fall: Aus guten Gründen hat das Grundgesetz in Artikel 140 die Bestimmung der Weimarer Verfassung unverändert übernommen, die in Artikel 139 den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage „als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung“ ausdrücklich schützt. Jede Ausnahme davon will und muss gut begründet werden. Eine Art Korridor von jährlich vier ohne Begründung frei zu gebenden Sonntagsöffnungen widerspricht diesem Ansinnen schon in seinem Grundansatz.
Es gibt bereits jetzt die Möglichkeit, an sechs Tagen und an mehr als 80 Stunden pro Woche Geschäfte und Läden zu öffnen beziehungsweise einzukaufen. Niemand hat einen Euro mehr verfügbar, nur weil sonntags die Läden offen sind. Die Umsätze im stationären Handel würden nicht steigen. Und zu meinen, dass durch Sonntagseinkäufe die Konkurrenz aus dem Online-Handel bekämpft werden könnte, ist ebenso blauäugig wie zynisch.
Untersuchungen zeigen, dass die meisten Online-Einkäufe nicht sonntags, sondern samstags erledigt werden. Zudem werden die Waren ohnehin nicht am Sonntag ausgeliefert – einen Vorsprung des Online-Handels gibt es also nicht. Außerdem schwächen zahlreiche Handelsketten ihren stationären Verkauf selbst, indem sie ständig auf die Bestellmöglichkeiten der angebotenen Waren im Internet hinweisen. Ein wirksamer Schutz der eigenen Beschäftigten im Handel sieht anders aus.
Gerade das Verkaufspersonal würde unter Sonntagsöffnungen am meisten leiden. Es wäre permanent eingeschränkt in der Planung von gemeinsamen Zeiten mit Familie und Freunden; Rufbereitschaften würden ebenso zunehmen wie geringfügige Beschäftigungsverhältnisse.
Ein Wirtschaftsminister, der solche Sonntagsöffnungen fordert, muss sich fragen lassen, in welcher Gesellschaft wir künftig leben sollen: in einer Gesellschaft, in der es kaum noch gemeinsame Ruhe- und Freizeiten gibt, in der Profit um jeden Preis angesagt ist und in der die Menschlichkeit auf der Strecke bleibt?
Das wäre eine Gesellschaft, die weder die Bayerische Verfassung noch unser Grundgesetz wollen: die Bayerische Verfassung betont in Artikel 3 ganz klar, dass Bayern ein „Rechts-, Kultur- und Sozialstaat“ ist, ähnlich wie das Grundgesetz in Artikel 20. Das wäre eine Gesellschaft, die aber auch die Mehrheit unserer Bevölkerung nicht will, weil sie wegen des wirtschaftlichen Wachstums in den vergangenen Jahren bereits etliche Zugeständnisse gemacht hat. Und das wäre eine Gesellschaft, die nicht mehr auf dem Boden des biblisch-christlichen Menschenbildes steht, das den Menschen als Individuum sieht.
Das Grundgesetz stellt deshalb bewusst die individuellen Menschenrechte ganz an den Anfang. Dieser Maßgabe sollte man sich als verantwortlicher Politiker bewusst sein, um solche unreflektierten Vorstöße eines Wirtschaftsministers und der Handelsverbände künftig zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund sind wir der Bayerischen Arbeitsministerin Kerstin Schreyer für ihre klare Positionierung besonders dankbar, weil sie noch einmal unmissverständlich die verfassungsrechtliche Basis für das Handeln der Bayerischen Staatsregierung formuliert hat.
München, 16. Juli 2019
Joachim Unterländer, Vorsitzender
Foto: Melinda Armbruester-Seybert/AdobeStock
Die zugehörige Pressemitteilung lesen Sie hier.
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von docs.google.com zu laden.