Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Eckpunktepapier zur Zukunftsaufgabe „Klimaneutralität“[1] der Diözesen in Bayern
Vorbemerkung: Es reicht nicht mehr, nur „einen Beitrag“ zu leisten.
Wir befinden uns in einem multiplen Krisenzustand. Der Satz „Alles ist mit allem verbunden“ mag abgedroschen klingen, ist aber aktueller denn je und gilt auch für Krisen unserer Tage: Klimaerhitzung, Pandemie(n), Kriege und wachsende globale Ungleichheit. Der Klimakrise und der Bewältigung ihrer Folgen kommt eine Schlüsselrolle zu. Welche Rolle kommt dabei Kirche als Institution und größtem Arbeitgeber nach dem öffentlichen Dienst zu? Welche uns als Christinnen und Christen? Wir haben einen Sendungs- bzw. Verkündigungsauftrag in dieser Welt in Worten und noch mehr in Taten.
Innerkirchlich setzt die Enzyklika Laudato si‘ von Papst Franziskus 2015 den wichtigsten ökologischen Akzent in der jüngeren Kirchengeschichte. In Deutschland sind im Januar 2019 „Zehn Thesen zum Klimaschutz“ erschienen, herausgegeben von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). Das Echo in der Öffentlichkeit war gering. Noch geringer die Konsequenzen in den Bistümern, Ordinariaten, Gremien, Pfarreien und Kirchenstiftungen. Am 25. Oktober 2021 wurde der „Klima- und Umweltschutzbericht 2021 der DBK – Unser Einsatz für die Zukunft der Schöpfung“ (Arbeitshilfen Nr. 327) veröffentlicht. Darin werden durchaus bemerkenswerte Projekte und Initiativen beschrieben. Doch das wird in Zukunft nicht reichen. „Uns muss bewusst sein, dass die Zeit des symbolischen Handelns und der vereinzelten Projekte zum Klima- und Umweltschutz vorbei ist“, mahnt Weihbischof Rolf Lohmann (Münster) im Vorwort. Auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing, ist sich dessen bewusst, wie er einleitend schreibt: „Wir wissen, dass wir in vielen Bereichen noch besser werden müssen“. Doch wie handeln die verschiedenen kirchlichen Verantwortungsträger? Wie nutzen die großen und kleinen Entscheider ihre Macht?
Querschnittsaufgabe „Strategisches Ökomanagement“
aller bayerischen Diözesen
Wie alle Länder dieser Welt steht der Freistaat Bayern vor der entscheidenden Zukunftsherausforderung, möglichst zügig das Ziel einer klimaneutralen Gesellschaft und Wirtschaft zu verwirklichen. Zugleich sind wirtschaftliche und soziale Ungleichheit abzubauen, ungerechte Belastungen zu vermeiden/abzufedern und die Teilhabe aller/möglichst vieler zu ermöglichen sowie ohne starke soziale und ökonomische Verwerfungen das Ziel einer klimaneutralen Gesellschaft und Wirtschaft zu verwirklichen. Dies ist neben einer bedarfsgerechten Versorgung mit erneuerbaren Energien und der Schaffung sozialer Gerechtigkeit in diesen Zeiten einerseits und der Globalisierung auf der anderen Seite zentrale Herausforderung. Wenn die katholische Kirche in Bayern in diesem Prozess nicht nur „Mitläuferin“ und „Getriebene“, sondern aktiv Gestaltende sein will, muss sie in ihrem gesamten Verantwortungsbereich die Querschnittsaufgabe „Klimaneutralität“ zur gemeinsam verantworteten, klug koordinierten Chefsache machen und darüber hinaus über ihre Rolle als Arbeitgeberin, Immobilienbesitzerin, Beschafferin, aber auch Verkündigerin, Prophetin etc. die bereits erarbeiteten Maßnahmen zügig und transparent umsetzen sowie die nächsten Schritte entwickeln.
Mittlerweile kann jede bayerische Diözese angesichts der Frage nach ihrem Engagement für eine enkeltaugliche Zukunft auf eine ganze Reihe beeindruckender Leuchtturmprojekte verweisen – doch um dem Anspruch gerecht zu werden, entschlossen, transparent und solidarisch zu handeln[1], muss das Zukunftsversprechen dieser Einzelbeispiele nun flächendeckend Realität werden.
Dazu ist es zunächst nötig, sich möglichst bald (bis Ende 2023 ist dringend geboten und scheint realistisch) auf ein gemeinsames Ziel[2] aller bayerischen Diözesen, orientiert an den internationalen Klimaschutzabkommen, und auf eindeutige und ressortübergreifende Verantwortlichkeiten zu verständigen. Für alle kirchlichen Organisationseinheiten muss Treibhausgasneutralität zur Pflichtaufgabe und Entscheidungsgrundlage werden. Dafür braucht es mindestens eine Vollzeitstelle[3] eines bzw. einer „Umweltbeauftragten“ mit verpflichtender Einbindung in die Leitungs- und Entscheidungsgremien sowie ausreichender Unterstützung durch Bildungs-, Verwaltungs- und Sachbearbeitungskräfte in jeder Diözese. Um dieser Aufgabe nachzukommen, braucht es freien Zugang zu Informationen aller kirchlichen Organisationseinheiten in Bayern, zum Beispiel auch zu den Daten der katholischen Pfründepachtstelle. Der transparente Zugang zu Daten ist eine zwingende Voraussetzung für zielgerichtete Entscheidungen.
Wir fordern eine Selbstverpflichtung der bayerischen Bischöfe, für ihr Bistum ein Konzept in Auftrag zu geben, in dem ein klares Zieljahr für Treibhausgasneutralität formuliert wird, das unterlegt ist mit konkreten und überprüfbaren Schritten. Eine intensivere, institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen den Bistümern, unter Federführung der Umweltbeauftragten, mit zum Teil schon weit in der Thematik fortgeschrittenen kirchlichen Orden, Werken und Verbänden ist sicherzustellen und entsprechende Ressourcen sind vorrangig bereitzustellen sowie deren Projekte und Stellen weiterhin ausreichend zu fördern, damit voneinander und miteinander lernen und handeln möglich ist. Um das Erreichte sichtbar zu machen und noch weitere Handlungsmöglichkeiten zu erschließen ist ein regelmäßiger und öffentlich zugänglicher Bericht der Bistümer erforderlich.
Gemäß der Maxime „entschlossen, transparent und solidarisch handeln“ soll auch die ökumenische, interreligiöse und internationale Zusammenarbeit im Bereich des Klimaschutzes verstärkt und weiter professionalisiert werden. Die Sachverständigengruppe Weltwirtschaft und Sozialethik verweist zurecht darauf, dass die katholische Kirche als Weltkirche ein enormes, aber vielerorts noch kaum genutztes Potential besitzt, Klimaschutz und globale Solidarität so zu verbinden, dass Klimaschutzprojekte nicht nur als „einseitige Hilfsmaßnahmen“ oder „attraktive Investments“, sondern als Partnerschaften auf Augenhöhe verwirklicht werden. Die Bistümer sollen sich auch diesem Ziel verpflichtet fühlen und beispielsweise ein fundiertes Konzept dafür vorlegen, inwieweit gemeinsame (und erwiesen langfristig ökologisch, sozial und ggf. auch ökonomisch wirksame) Klimaschutzprojekte mit Partnerdiözesen auch in der eigenen CO2-Bilanzierung angerechnet werden können.
Klimaschutz aus einem Guss für alle Handlungsfelder
Es gibt bereits genug fundierte Stellungnahmen und Forderungskataloge für kirchlichen Klimaschutz, daher soll an dieser Stelle nur noch einmal betont werden, dass es nicht an guten Ideen und Möglichkeiten, sondern an der klug koordinierten, flächendeckenden Umsetzung mangelt. Ein gemeinsames strategisches Ökomanagement der bayerischen Diözesen hat insbesondere die Aufgabe, die Gesamtheit der Handlungsfelder im Auge zu behalten, dies umfasst unter anderem:
Handlungsfeld: Immobilien und Gebäudemanagement
Über die herausragende Bedeutung dieses Handlungsfeldes besteht allgemeine Einigkeit. Zeitnah ist vor allem eine bessere, innovative Planung und eine Ausweitung der finanziellen Zuschüsse nötig, um in diesen Schwerpunktbereichen voranzukommen: Gebäudesanierung, digitale Steuerung des Energieverbrauchs, vermehrte Erzeugung und Nutzung erneuerbarer Energien, neue Nutzungskonzepte und Stadtteilintegration von wenig genutzten Immobilien sowie Beteiligungen an kommunalen und genossenschaftlichen Energieerzeugungsanlagen. Ein schnell und einfach umzusetzender nächster Schritt mit entsprechender Signalwirkung wäre es, die Stromverträge sämtlicher kirchlicher Einrichtungen in Bayern bis Ende 2023 auf Ökostrom umzustellen.
Handlungsfeld: Flächenmanagement Wald- und Forstflächen
sowie landwirtschaftliche Flächen
Im land- und forstwirtschaftlichen Flächenmanagement sind Klimaschutzmaßnahmen deutlich kostengünstiger möglich, doch ist in der Planungsphase ein höheres gesellschaftliches Konfliktpotential erkennbar. Auch hier besteht Einigkeit, dass alle land- und forstwirtschaftlichen Flächen im Kirchenbesitz langfristig „klimapositiv“ werden können und sollten[4] – doch es gibt dringenden Diskussionsbedarf darüber, bis wann und unter welchen gesellschaftlichen und ökologischen Voraussetzungen dies erfolgen sollte. Zentrale Fragen nach dem Stellenwert der Biodiversität, nach Windrädern und Photovoltaik auf geeigneten kirchlichen Flächen, der sinnvollen Wiedervernässung von Mooren, der Aufforstung und der generellen Verpachtungspraxis müssen zeitnah adressiert werden. Wir fordern ein umsetzbares, verbindliches, mutiges Konzept und klare Beauftragungen bis Ende 2023. Angesichts des damit verbunden Konfliktpotentials gilt: Wenn zunächst wenigstens diejenigen kirchlichen Gemeinschaften und Organisationen, die unter geringerem finanziellen Druck als andere Akteure stehen und die sich in besonderer Weise auf gemeinsame Werte berufen können, einen Konsens für die Nutzung der ihnen anvertrauten Natur erzielen können, so könnte daraus die Chance einer bürgerlichen Dialogkultur erwachsen.
Handlungsfeld: Mobilität
Im Handlungsfeld Mobilität sollten kirchliche Gruppierungen vor allem als „verantwortungsvolle Konsumenten“ in Erscheinung treten und sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein: der Verzicht auf Kurzstreckenflüge, die bevorzugte Nutzung des ÖPNV auf Dienstreisen, Carsharing, Ladestationen vor Kirchen und anderen kirchlichen Parkplätzen, wo möglich Videokonferenzen statt Dienstreisen und vor allem eine selbstverständliche entsprechende Kompensation aller nicht vermeidbaren Dienstreisen via Klimakollekte – all dies sollte mittlerweile selbstverständlich sein.
Handlungsfeld: Beschaffungswesen (inkl. Gastronomie) und Abfallmanagement
Im Bereich des kirchlichen Beschaffungswesens sehen sämtliche Expertinnen und Experten großes Potential in der konsequenten Ausrichtung an sozial-ökologischen Kriterien und verweisen darauf, dass die Umstellung kirchlicher Küchen (in Kantinen, Altenheimen, Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten, Horten, Priesterseminaren, Orden, Pfarrhaushalten, Bildungshäusern, Tagungsstätten, Gaststätten…) auf saisonale Gerichte, weniger Fleisch, mehr Vollwertkost, bio-regio und Fair-Trade ohne größeren finanziellen Mehraufwand möglich ist, wenn die Verantwortlichen entsprechend geschult werden.[5] Einige sind hier schon vorne dabei und können andere unterstützen. Ebenso gilt es bei Möbeln, Reinigungsmitteln, Spielmaterialien, Arbeitskleidung u.v.m. hinzuschauen. Reparieren, Instandhalten und Pflegen vor Neuanschaffen und Neubauen. Vor allem aber gilt: Schon bei der Beschaffung sollte an die Entsorgung gedacht werden. Und: weniger ist oft mehr. Eventuell sind hier auch Förderungen zu überdenken und auf bewährtes langfristiges Planen, Bauen und Wirtschaften, wie in den Orden über Jahrhunderte üblich, zurückzugreifen (nicht kurzfristig günstig bauen, sondern langfristig mit Blick auf praktikable evtl. auch mehrfache Nutzung, unter Berücksichtigung von Instandhaltungs- und Pflegekosten).
Handlungsfeld: Finanzen und Geldanlagen
Im Bereich der Anwendung von Nachhaltigkeitskriterien für die Vermögensverwaltung größerer kirchlicher Stiftungen und Vermögen sind in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte erzielt worden. Nun geht es darum, die vielen kleinen Kirchenstiftungen und Einzelvermögen der Pfarreien ebenfalls an ESG-Anlagekriterien[6] auszurichten. Angesichts der Vielzahl an unterschiedlichen und teils widersprüchlichen Forderungen (Divestments in nuklearer und fossiler Energieerzeugung, Best-in-Class-Ansatz, Shareholder Activism, gezielte Investments in erneuerbare Energien etc.) geht es vor allem darum, einen Mindestkonsens für alle kirchlichen Vermögen zu erzielen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die jeweils angewandten ESG-Kriterien konsequent weiterentwickelt und verbessert werden.
Handlungsfeld: Verkündigung und Bildung
Darüber hinaus hat Kirche einen wichtigen Auftrag in der Bewusstseinsbildung. Das Prinzip Nachhaltigkeit und ökologisch-soziale Gerechtigkeit muss ein Schwerpunktthema in Aus- und Fortbildung von pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden. Schöpfungstheologie und Schöpfungsspiritualität dürfen nicht länger ein Rand- und Schattendasein in Lehre und Verkündigung spielen, sondern müssen in die Mitte gerückt werden. Eine Sünde gegen die Natur ist eine Sünde gegen Gott, ebenso wie wir auch den fernen Nächsten schuldig sind, dass sie ein Leben in Würde führen können, was gerechte Löhne, gesunde Lebensräume und faire Arbeitsbedingungen einschließt. Für Christinnen und Christen muss es selbstverständlich werden, sich als Teil einer Schöpfung, eines Hauses, der Erde zu verstehen, die aktuell große Wunden, Artensterben und Zerstörung eines sensiblen Ökosystems erleiden muss.
Das Landeskomitee geht seinerseits die Selbstverpflichtung ein, die genannten Ziele auf allen Ebenen zu verfolgen und sichert den Diözesen auf dem skizzierten Weg volle Unterstützung der Kräfte des Laienapostolats zu, wo immer es hilft.
Von den Mitgliedern der Vollversammlung des Landeskomitees
am 19. November 2022 einstimmig beschlossen.
[1] Vgl. Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Wie sozial-ökologische Transformation gelingen kann. Studien der Sachverständigengruppe Weltwirtschaft und Sozialethik, Bonn 2021.
[2] Wichtigste Frage ist dabei der nach einem Zielkorridor für die Erreichung von Klimaneutralität. Auch wenn nach dem neuesten Bericht des IPCC die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels damit vereinbar ist, dass globale Klimaneutralität erst nach 2050 erreicht wird, haben Länder des globalen Nordens aufgrund ihrer historischen Verantwortung und ihrer Möglichkeiten die Verpflichtung, dieses Ziel früher zu erreichen. So hat die Europäischen Union das Ziel Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Im aktuellen Klimaschutzgesetz verpflichtet sich Deutschland, dieses Ziel bis 2045 zu erreichen, der Freistaat Bayern hat sich das Ziel 2040 gesetzt, Christians for Future (CFF) halten 2030 für notwendig.
[3] CFF fordern eine Vollzeitstelle pro 100.000 Kirchenmitglieder.
[4] Forderung der Christians for Future (CfF): alle land- und forstwirtschaftlichen Flächen in Kirchenbesitz sollen bis 2035 „klimapositiv“ sein.
[5] Vgl. Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Wie sozial-ökologische Transformation gelingen kann. Studien der Sachverständigengruppe Weltwirtschaft und Sozialethik, Bonn 2021.
[6] ESG steht für „Environment“, „Social“ und „Governance“.
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