Auf Leben und Tod
Mit seinem Urteil vom 26. Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht das Selbstbestimmungsrecht von Menschen betont, wenn es die Nichtigkeit der bisherigen gesetzlichen Regelung zum strafbewehrten Verbot geschäftsmäßiger Förderung der Selbsttötung feststellt. Das Landeskomitee der Katholiken in Bayern ist sich der Schwierigkeit bewusst, die Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts an den Gesetzgeber, die Eigenverantwortlichkeit der Menschen zu achten, mit der Intention eines Verbots der gewerbsmäßigen Förderung der Sterbehilfe in Einklang zu bringen.
Insbesondere fragen wir uns, mit welchem Schutzkonzept der Gesetzgeber verhindern kann, dass die Erlaubnis zur Suizidbeihilfe noch weiter ausgedehnt wird.
- Ist es sichergestellt, dass Menschen, die nach einer Beihilfe zur Selbsttötung verlangen, genügend unabhängige Beratungs- und Begleitungsangebote unterbreitet werden, um die Gründe analysieren und besprechen zu können, die sie in eine solche dramatische Entscheidungssituation in ihrem Leben gebracht haben?
- Wird das Gesundheits- und Beratungssystem personell, fachlich, räumlich und technisch in die Lage versetzt, den betroffenen Menschen ausreichend alternative Möglichkeiten zu einem Suizid aufzuzeigen, wie etwa eine intensive Schmerzbehandlung und weitergehende Hilfs- und Beratungsangebote?
- Sind genügend wohnortnahe Angebote für eine sinnvolle Beratung und Begleitung der betroffenen Menschen vorhanden? Ist die Palliativmedizin bereits flächendeckend ausgebaut?
- Wie werden das Berufsrecht für Ärzte und Apotheker sowie das Betäubungsmittelrecht im Sinn eines echten Lebensschutzes ausgestaltet?
- Ist zwischen dem geäußerten Wunsch nach einer Suizidbeihilfe und der möglichen Realisierung eine genügend lange Wartefrist vorgesehen, wie dies im Urteil des Bundesverfassungsgerichts nahegelegt wird? Wie kann die dafür erforderliche Freiwilligkeit der Entscheidung sichergestellt werden?
- Welches Zertifizierungsverfahren ist geplant, dem sich mögliche Anbieter regelmäßig unterziehen müssen, um „gefahrträchtige“ Erscheinungsformen der gewerbsmäßigen Suizidbeihilfe zu vermeiden, wie das Bundesverfassungsgerichtsurteil selbst formuliert? Werden bei diesem Zertifizierungsverfahren Beratung und Suizidbeihilfe organisatorisch getrennt? Wie kann vermieden werden, dass Sterbehilfevereine in Alten- und Pflegeheimen für ihre Dienste werben?
- Gibt es beim Nachweis für die Ernst- und Dauerhaftigkeit sowie der Endgültigkeit des Selbsttötungswillens der betroffenen Menschen klar definierte und verpflichtende Kriterien, die der jeweiligen Lebenssituation der Menschen entsprechen?
Es muss alles dafür getan werden, dass Menschen, die unter schweren Krankheiten zu leiden haben, einen Platz in unserer Gesellschaft haben. Dies muss in gleicher Weise für Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen gelten. Sie sollen spüren, dass sie gewollt und dass sie wertvoll sind. Gerade auch psychische Erkrankungen sollten noch mehr als bisher wahr- und ernstgenommen werden. Niemand darf durch das gesellschaftliche und familiäre Umfeld in die Situation gebracht werden, sich gegen den eigenen Willen mit der Frage der Selbsttötung auseinandersetzen zu müssen. Gerade Nützlichkeitserwägungen dürfen keinen Erwartungsdruck aufbauen.
Vorhandene Hindernisse beim Ausbau der Palliativmedizin sowie der ambulanten und stationären Hospize sind im Bund, in den Ländern und in den Kommunen weiter konsequent abzubauen. Die Gesetzesnovelle muss von einem Ausführungsgesetz begleitet werden, das dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und der Sicherung eines selbstbestimmten Lebens gerecht wird.
Unsere Gesellschaft hat sich darüber klar zu werden, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das im Grundgesetz einen ausdrücklichen Schutz genießt, keine Lizenz dafür ist, dass sich alle selbst überlassen bleiben. Das würde das Ende einer solidarischen Gemeinschaft bedeuten. Dieser Auftrag gilt nicht nur für Deutschland. Vor diesem Hintergrund sehen wir den Aktionsplan „Menschenrechte und Biomedizin nach der Coronaviruskrise“ des Europarates für die Jahre 2020 bis 2025.
Personalität, Subsidiarität und Solidarität sind aus der Sicht der katholischen Soziallehre eng miteinander verbunden und bedeuten den Dreiklang von Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und gegenseitiger Hilfe. Nur wenn es uns gelingt, Menschen in dramatischen, lebensbedrohlichen Situationen nicht nur medizinisch, sondern auch seelisch zu helfen, können wir eine menschliche Gesellschaft bleiben.
Vom Präsidium des Landeskomitees am 21. September 2020 einstimmig beschlossen.
Hier finden Sie den Wortlaut als PDF-Datei.
Die zugehörige Pressemitteilung lesen Sie hier.
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