Landescaritasdirektor Zerrle: Ökonomie ist nicht die letzte Norm
Forum des Landeskomitees der Katholiken zur Zukunft freier Wohlfahrtspflege
Augsburg, 23. Juli 2002 (ILK) In einem erweiterten geeinten Europa ist die soziale Sicherung immer mehr von Abbau bedroht. Davor hat der bayerische Landescaritasdirektor, Prälat Karl-Heinz Zerrle, gewarnt. In allen Staaten der europäischen Union, die vor den gleichen ökonomischen, sozialen und demographischen Herausforderungen stünden, gäbe es einen solchen Trend, sagte Zerrle am Dienstag, 23. Juli, in Augsburg bei einem vom Landeskomitee der Katholiken in Bayern veranstalteten Forum über die Zukunft der freien und insbesondere der christlichen Wohlfahrtspflege in einem geeinten Europa.
Die Sozialpolitik wird nach Zerrles Angaben einer neoliberalen, angebotsorientierten Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik untergeordnet. Auch rufe die politische Seite nach verbesserter Qualität sozialer Dienstleistungen, fahre aber gleichzeitig öffentliche Leistungen zurück. „Eine Gesellschaft kann aber nur überleben, wenn sie ein gewisses Maß an Solidarität der Begüterten mit den weniger Begüterten nicht unterschreitet“, erklärte der Landescaritasdirektor. Das erweiterte Europa brauche nicht nur eine politische, sondern auch eine soziale Union.
Soziale Hilfe dürfe künftig nicht nur in behördlicher Form organisiert werden, auch Einzelne, Gruppen und Verbände müßten sich frei betätigen dürfen. Es sei gerade ein Charakteristikum der Wohlfahrtsverbände, das ehrenamtliche Engagement zu fördern. Die Träger der christlichen Wohlfahrtspflege sind nach Zerrles Worten bereit, ihre Dienste nach wirtschaftlichen Kriterien zu organisieren und zu erbringen. Aber betriebswirtschaftliche Kriterien könnten im Sozialbereich nicht die letzte Norm sein: „Nicht was ein hilfebedürftiger Mensch kostet, darf die Sozialpolitik bestimmen, sondern das, was er braucht“, sagte der Prälat.
Für das Bayerische Sozialministerium erklärte dessen Amtschef, Ministerialdirektor Friedrich Seitz, der Staat werde auch in Zukunft „im Rahmen seiner Möglichkeiten“ ein verläßlicher Partner der freien Wohlfahrtspflege sein. Um ein leistungsfähiges soziales Netz zu sichern und zu gewährleisten, müßten die Selbsthilfekräfte des Einzelnen und der Gesellschaft unterstützt werden. Auch die Konzentration auf wesentliche Aufgabenfelder der sozialen Arbeit sei notwendig. Im Wettbewerb zwischen privaten Anbietern und freier Wohlfahrtspflege dürfe „das Element der Mitmenschlichkeit“ nicht auf der Strecke bleiben.
Der Vorsitzende der bayerischen Landesgruppe des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste, Friedrich Schmidt, empfahl der Wohlfahrtspflege, Marktprofil zu entwickeln, statt Marktstellung zu verteidigen. Auf den gesellschaftlichen Wandel müsse auch die Wohlfahrtspflege flexibel reagieren und eine neue Form der freien Wohlfahrt planen und gestalten. Schmidt sprach von einem „innovativen Wohlfahrts-Mix“, in dem es auch Profit-Center geben könne, die mit einem marktgerechten Marktprofil tätig seien. Durch sie könnten dann auch caritative „Zuschuss-Geschäfte“ möglich werden, ähnlich dem Sozial-Sponsoring großer Unternehmen. Auch der Vorsitzende des Sachausschusses für soziale und caritative Fragen des Landeskomitees, Wilfried Mück, sieht in neuen Rahmenbedingungen für die Wohlfahrtspflege Herausforderungen, die eine Chance sein könnten: „Sie können eine wohltuende Reform einläuten, einen Neubeginn markieren und eine feste Platzierung auf dem sozialen Markt bedeuten“. (wr)