1700 Jahre Sonntagsschutz – 1700 Jahre Menschenschutz – 1700 Jahre echte Würde
Eine verlässliche Strukturierung der Zeit und verbindliche Rituale sind überlebensnotwendig – gerade auch in Zeiten der Coronapandemie. Darauf weisen Psychologen und Coaches immer wieder nachdrücklich hin. Eine solche Strukturierung ist unerlässlich für das persönliche und gemeinschaftliche Leben. Eine wesentliche Struktur stellt seit jeher der wöchentliche Rhythmus dar, in dem der Sonntag den Tag der Arbeitsruhe markiert. Er ermöglicht es, selbst zur Ruhe zu kommen, gemeinsame Aktivitäten zu planen oder auch an religiösen und kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen. Dies ist nur möglich, weil bislang dieser Tag für die meisten Menschen nicht durch haupt- oder nebenberufliche Betriebsamkeit geprägt ist.
Diesen Bedarf eines für alle verbindlichen Ruhezeitraums erkannte vor 1700 Jahren bereits Kaiser Konstantin, als er am 3. März 321 ein Edikt erließ, das bis heute Verfassungsrang in Deutschland genießt. In diesem Edikt schrieb der römische Kaiser fest, dass alle Richter, Stadtleute und Gewerbetreibenden am „verehrungswürdigen Tag der Sonne“ ruhen sollen. Herzog Odilo von Bayern legte etwa 400 Jahre später im bayerischen Stämmegesetz, der „Lex Baiuvariorum“, nach und bestimmte den Sonntag als Tag der Arbeitsruhe. Bei wiederholten Verstößen gegen das Verbot der Sonntagsarbeit drohte sogar Kerkerhaft.
In der jüngeren deutschen Geschichte wurde 1892 im Arbeiterschutzgesetz erstmals ein allgemeines Verbot der Sonntagsarbeit ausgesprochen. Die Weimarer Verfassung von 1919 erhob dieses Verbot in den Verfassungsrang und definiert in Artikel 139 die bis heute gültige verfassungsrechtliche Garantie des Sonntagsschutzes: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ Dieser Artikel wurde unverändert in Artikel 140 des Grundgesetzes übernommen.
Seither gab und gibt es immer wieder Bestrebungen, den Sonntagsschutz auszuhebeln oder zu relativieren, vornehmlich mit dem Hinweis auf vermeintlich wirtschaftliche Bedürfnisse. Dem schoben zahlreiche Urteile in den Bundesländern, aber auch höchstrichterliche Urteile des Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgerichts stets einen Riegel vor. Zuletzt durch die Entscheidungen aus den Jahren 2009 und 2015.
Nachdem Versuche einzelner Handelsverbände und Kommunen immer wieder scheiterten, Sonntagsöffnungen ohne ausreichende Begründungen zu erreichen, streben nun offensichtlich der Handelsverband Deutschland (HDE) und die FDP eine Änderung des Grundgesetzes an, um den Weg hin zur Beseitigung des Sonntagsschutzes einzuschlagen.
Dabei geht niemand mehr ernsthaft davon aus, dass zusätzliche Öffnungszeiten zusätzlichen Umsatz generieren würden. Die Menschen können das ihnen zur Verfügung stehende Geld schließlich nur einmal ausgeben. Außerdem würden erweiterte Sonntagsöffnungen zu völlig unnötigen Belastungen des Verkaufspersonals führen, deren Familienleben immer mehr auseinandergenommen wird. Wenn die gemeinsam verlässlichen Ruhezeiten immer seltener werden, weil immer mehr Branchen eine Aufhebung des Sonntagsschutzes beanspruchen, leiden am Ende alle darunter. Alle Beschäftigten, die bei der Polizei, in Berufen der Daseinsvorsorge, der Pflege, der Rettungsdienste oder anderen Bereichen arbeiten, die an Sonntagen verfügbar sein müssen, können ein Lied davon singen, wie mühsam sich die Planung gemeinsamer Zeiten gestaltet. Vor diesem Hintergrund unterstützen und begleiten wir nachdrücklich das Engagement der Allianz für den freien Sonntag als breites gesellschaftliches Bündnis von Kirchen, Gewerkschaften und Verbänden.
Das Landeskomitee der Katholiken in Bayern und der Landeskatholikenausschuss in Niedersachsen warnen eindringlich davor, die Sonntagsruhe als gemeinsames Kulturgut und als sicheren Rahmen für familiären Zusammenhalt zu gefährden. Der Sonntag sichert die Würde des Menschen, indem er sich der Expansion wirtschaftlicher Verwertungsinteressen widersetzt. Daher rufen wir in Anbetracht des nun 1700 Jahre währenden Sonntagsschutzes alle politisch und gesellschaftlich verantwortlichen Akteure dazu auf, diesen Schutz der menschlichen Würde als wertvollen Schatz zu begreifen.
Die Wertschätzung gemeinsam notwendiger Zeiten kann unsere Gesellschaft davor bewahren, nur noch auf das vermeintlich wirtschaftlich Notwendige zu schielen und darüber die persönlichen sowie gemeinschaftlichen Bedürfnisse von Menschen zu übersehen. Es braucht den Sonntag als Zeit, in der wir uns als Menschen unserer eigenen Würde immer wieder neu bewusst werden, in der wir Muße finden, um über uns selbst nachzudenken und darüber, wie wir unser Leben und unsere Beziehungen sinnvoll und wertschätzend gestalten wollen. Die Menschen sehnen sich nach Gütern, die sie nicht kaufen können: nach menschlicher Nähe, nach Empathie, nach gemeinsamen Zeiten. Und gerade nach der Coronakrise wird diese Sehnsucht eher noch größer werden. Wenn Menschen Raum und Zeit für Ruhe und Erholung haben, können sie Kraft tanken für neue Aktivitäten und Interessen. Dann macht sich Sonntagsschutz auch wirtschaftlich bezahlt. Und diese Kraft bereichert unsere Gesellschaft über die Wirtschaftsleistung hinaus.
Hannover und München, am 3. März 2021
Joachim Unterländer
Vorsitzender des Landeskomitees der Katholiken in Bayern
Claus-Dieter Paschek
Vorsitzender des Landeskatholikenausschusses Niedersachsen
Die zugehörige Pressemeldung lesen Sie hier.
Beitragsbild: Melinda Armbruester-Seybert/AdobeStock
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