Schülerinnen und Schüler dürfen nicht zu Verlierern der Pandemie werden
Mit Sorge beobachtet das Landeskomitee der Katholiken in Bayern die seit Beginn der Coronapandemie nicht mehr zu leugnenden Verwerfungen im Bereich der schulischen Bildung in Bayern. Uns treibt die Sorge um, dass die Unterschiede zwischen den Wissensständen der Schülerinnen und Schüler in den vergleichbaren Jahrgangsstufen und Schularten immer tiefgreifender und die Wissenslücken immer größer werden. Die zu beobachtenden Gräben ziehen sich quer durch die Schularten und auch durch die Herkunftsfamilien der Kinder. Hierfür trägt die Bayerische Staatsregierung insgesamt Verantwortung. Darüber hinaus ist festzustellen, dass im Freistaat und auch in den anderen Bundesländern kein Konzept für einen kind- und jugendgerechten Unterricht in Corona-Zeiten vorliegt.
Als verantwortliche Behörde, die für einen funktionierenden Unterricht an den Schulen zu sorgen hat, muss sich das Kultusministerium vorwerfen lassen, nach den Erfahrungen aus dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 nicht die richtigen Konsequenzen gezogen zu haben. Die Schulpflicht besteht nicht nur für Kinder und Eltern, sondern auch für den Staat. Seit Jahren wurde versäumt, die nötige digitale Infrastruktur bayernweit an allen Schularten aufzubauen. Dieses Versäumnis rächt sich nun. Es gibt aber vereinzelt auch positive Beispiele, besser aus der Pandemie herauszukommen als man in sie hineingeschlittert ist. Wichtigste Voraussetzung dafür ist eine gute Kooperation innerhalb der Schulfamilien. Intensive Kommunikation miteinander und über Schularten hinweg ist dafür unerlässlich. Wir fordern eine umgehende Verbesserung der Situation mit folgendem 11-Punkte-Programm:
- Für den Distanzunterricht braucht es eine bayernweit einheitliche und wirklich funktionierende Plattform durch einen Anbieter, der auch alle datenschutzrechtlichen Anforderungen erfüllt. Dazu muss die Versorgung mit adäquaten Endgeräten sichergestellt sein. Die Schülerinnen und Schüler brauchen, um dem Online-Unterricht folgen zu können, jeweils ein Tablet, einen Laptop oder Standrechner. Ein Smartphone ist dafür nicht ausreichend. Ebenso ist ein Gerät für die gesamte Familie zu wenig. Zum Teil fehlt es auch schlicht an der Kommunikation über vorhandene Geräte.
- Es muss schnellstmöglich ausreichende staatliche Zuschüsse für die Kommunen geben, um so für die dringend nötige physische Herstellung eines Zugangs zu schnellem Internet zu sorgen. Dabei muss sich die Unterstützung sowohl auf technische Hilfsmittel als auch auf menschlichen Support für die rasche Umsetzung vor Ort richten. Ebenso brauchen aber auch Familien, die sich einen Tarif für schnelles Internet nicht leisten können, individuelle Zuschüsse.
- Überall dort, wo Schülerinnen und Schüler nicht über die nötige technische oder räumliche Infrastruktur verfügen, müssen rasch Möglichkeiten geschaffen werden, wie sie im Lernprozess unterstützt werden können. Kein Kind darf wegen Organisationsdefiziten benachteiligt werden, die leicht zu beheben sind.
- Die Abgeordneten des Bayerischen Landtags müssen die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass in dieser Frage das Ziel der Bayerischen Verfassung erreicht wird, „gleichwertige Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern, in Stadt und Land“ sicher zu stellen (vgl. Artikel 3, Absatz 2 der Bayerischen Verfassung). Dies gilt natürlich auch für die Schulen.
- Für die Zeiten, in denen die Infektionslage keinen regulären Präsenzunterricht zulässt, sollen unterschiedliche Optionen für einen Wechsel- und einen Distanzunterricht jahrgangsspezifisch und diversifiziert nach Schularten geprüft und praktiziert werden. Es muss schnellstmöglich für technisch einwandfreie und geeignete Lüftungsgeräte gesorgt werden, um nach dem Ende des Lockdowns wieder einen gefahrlosen Wechsel- oder Vollunterricht für Kinder, Lehrkräfte und Familien zu ermöglichen. Generell sollte dem Präsenzunterricht soweit irgendwie möglich Priorität eingeräumt werden.
- Nach dem Ende des Distanzunterrichts muss der Wissensstand der Schülerinnen und Schüler in den jeweiligen Schularten und Jahrgangsstufen eruiert werden. Deshalb ist von sofortigen schriftlichen Prüfungen bei einer Rückkehr zum Präsenzunterricht abzusehen. Dies gilt insbesondere auch für die Abschlussklassen sowie für die Übertrittsklasse 4 an den Grundschulen. Selbst die Reduzierung der Probenanzahl in Übertrittsklassen von 18 auf 14 würde letztlich in einen Probenmarathon ausarten und den Kindern sowie einem nachhaltigen Lernerfolg in keiner Weise gerecht werden. Gleichzeitig sind Sonder- und Härtefallregelungen für diejenigen zu treffen, die aufgrund der Pandemie im vergangenen Schuljahr nur auf Probe versetzt wurden und nun aufgrund der aktuellen Umstände und entfallenden Prüfungen eventuell keine Gelegenheit hatten, sich zu verbessern. Die Abschlussprüfungen sind so anzusetzen, dass nach Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts genügend Vorbereitungszeit für die Schülerinnen und Schüler verbleibt.
- Ein größeres Augenmerk als bislang muss auch auf den Transport der Schülerinnen und Schüler gerichtet werden. Die Infektionsgefahr kann im Präsenzunterricht (Wechsel- oder Vollunterricht) nur dann nachhaltig reduziert werden, wenn nicht nur im Schulgebäude und auf den Pausenhöfen auf das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung und auf Abstand geachtet wird, sondern in gleicher Weise in den Schulbussen.
- Das Kultusministerium muss das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) damit beauftragen, die vielfach angekündigten, bislang aber nicht umgesetzten Kürzungen der Lehrplaninhalte für alle Jahrgangsstufen in Angriff zu nehmen. Dazu muss in Absprache mit den Verbänden der Lehrkräfte und der Erziehungsberechtigten definiert werden, welche Inhalte in den jeweiligen Schularten und Jahrgangsstufen zum Grundwissen zählen und damit auch unter den aktuellen Bedingungen der Coronapandemie unverzichtbar und in diesem oder nächsten Schuljahr nachzuholen sind. In erster Linie müssen aber endlich Lehrplaninhalte benannt werden, die derzeit oder sogar dauerhaft entfallen können.
- So sehr wir für das eigenverantwortliche Lernen eintreten, weil es gerade unter den Bedingungen des Distanzunterrichts ermöglicht, sich selbst Lehrplaninhalte anzueignen, Lernziele eigenständig zu erreichen und nicht nur reproduktiv zu lernen, darf der Unterricht nicht als geschlossenes System begriffen werden. Gerade beim Unterricht auf digitaler Basis sind jüngere Kinder darauf angewiesen, dass ihnen die Eltern helfend zur Seite stehen. Es ist hinsichtlich eines Lernerfolgs wenig hilfreich, hier auf eine für Eltern unzugängliche Beziehung zwischen Lehrkräften und Kindern zu pochen. Sowohl Lehrkräfte als auch Eltern haben ihren gesetzlichen Erziehungsauftrag zu erfüllen.
- Auch wenn es häufig die Eltern sind, welche die Kinder motivieren und den Lernstoff erklären, sollten sie nicht in die Rolle von Lehrkräften schlüpfen müssen. Korrekturarbeiten sind Aufgabe der Lehrkräfte und müssen von diesen durchgeführt werden – auch während des Distanzunterrichtes. Korrekturen von Eltern können zu unnötigen Konflikten in der Eltern-Kind-Beziehung führen.
- Wir ermutigen die Staatsregierung dazu, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit die Kommunikation zwischen Eltern, Lehrkräften, Schulleitungen sowie Schülerinnen und Schülern deutlich verbessert wird. Uns ist bewusst, dass hier zwar die Schulfamilien die Hauptrolle spielen, aber sie können diese nur ausfüllen, wenn dafür die Rahmenbedingungen stimmen.
Der aufgelistete Forderungskatalog bezieht sich zwar einerseits auf aktuelle Herausforderungen durch die Coronapandemie, weist aber auf Ziele hin, die auch nach einem Ende der Einschränkungen durch diese Krise angestrebt werden sollten. Schließlich können diese außergewöhnlichen Umstände bei einer neuen Pandemie schnell wieder auf
treten, auch wenn wir uns alle eine solche nicht wünschen. Der Reduzierung der Stofffülle in den Lehrplänen kommt auch bei einem wieder möglichen Präsenzunterricht hohe Priorität zu (vgl. Nummer 8 des Katalogs).
Wir sind es den Schülerinnen und Schülern aller Jahrgänge und Schularten schuldig, ihnen den Zugang zu einer möglichst hochwertigen Bildung zu ermöglichen. Hier sind Schülerinnen und Schüler als Betroffene im Sinn der Eigenverantwortung zwar auch selbst gefragt, ebenso wie die Lehrkräfte und die Erziehungsberechtigten, die diesen Lernprozess anleiten und begleiten sollen. Zunächst jedoch sind die politisch Verantwortlichen dazu aufgerufen, die nötigen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Hier wären neben dem Ministerium für Unterricht und Kultus auch die Ministerien der Finanzen und für Heimat sowie für Digitales gefragt. Das Landeskomitee der Katholiken in Bayern sieht die Notwendigkeit, hierzu das inhaltlich wie politisch Notwendige zu veranlassen. Es ist zusammen mit seinen Organen und Fachverbänden gerne zur konstruktiven Kooperation bereit.
Vom Präsidium des Landeskomitees am 4. Februar 2021 einstimmig beschlossen.
Die zugehörige Pressemitteilung lesen Sie hier.
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Beitagsbild: JackF / Adobe Stock