Das Forschungsprojekt „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ zeigt mit seinen Ergebnissen, wie notwendig diese wissenschaftliche Aufarbeitung ist. Auch wenn das Projekt aufgrund der Vorgaben nicht alle Bereiche kirchlichen Lebens untersuchte, begrüßt das Landeskomitee der Katholiken in Bayern, dass die katholische Kirche als erste Großorganisation diesem Problem endlich die Aufmerksamkeit widmet, die es längst verdient gehabt hätte. Viel zu lange mussten sich Opfer sexuellen Missbrauchs doppelt gedemütigt fühlen: einerseits durch die abscheulichen Taten, die ihnen zum Teil lebenslange Traumata, seelische und körperliche Schäden zufügten, und andererseits durch das mangelnde Interesse bis hin zur Verweigerung seitens der verantwortlichen Personen und Stellen in der Kirche.
So wertvoll die veröffentlichten Ergebnisse sind, wäre es fatal zu meinen, nun zur Tagesordnung übergehen zu können. Wer so denkt, begeht einen weiteren Missbrauch, nämlich den Missbrauch der Macht. Im Machtmissbrauch sehen wir eine zentrale Ursache für das jahrzehntelange Verschweigen von Fällen, in denen Betroffenen, vor allem Kindern und Jugendlichen, körperliche oder seelische Gewalt angetan wurde. Das uneingeschränkte Vertrauen in das Handeln und Denken von Klerikern, das über lange Zeit in unserer Kirche unhinterfragt vorhanden war, schuf den Nährboden für das fehlende Verständnis, das man schon damals für die von Opfern getroffenen Aussagen zeigte. Dadurch blieben Nachforschungen entweder ganz aus oder wurden nur halbherzig betrieben, von Kontrolle gar nicht zu reden. Für dieses Schweigekartell sind nicht nur Kleriker, sondern auch einige Laien verantwortlich, weil das Fehlverhalten Einzelner bewusst oder unbewusst gedeckt wurde.
Somit stehen wir alle in der Verantwortung, endlich die nötigen Konsequenzen aus den Ergebnissen des Forschungsprojekts zu ziehen. Diese Konsequenzen betreffen sowohl die Hilfe und Therapie für die Opfer der bekannt gewordenen und noch bekannt werdenden Fälle von Missbrauch als auch die Prävention in der katholischen Kirche, damit sich solche Fälle eben nicht wiederholen. Dafür formulieren wir als Landeskomitee für die Freisinger Bischofskonferenz einen Maßnahmenkatalog, den es zügig umzusetzen gilt:
- Es muss auf bayerischer Ebene eine von der katholischen Kirche finanzierte, aber weisungsunabhängige, neutrale Anlaufstelle eingerichtet werden, an die sich alle wenden können, die behaupten Opfer von seelischer oder körperlicher Gewaltanwendung im kirchlichen Raum geworden zu sein, zu früheren Zeiten oder aktuell.
- Diese neutrale Anlaufstelle muss in der Lage sein, den Betroffenen unverzüglich ein professionelles therapeutisches Hilfsangebot innerhalb oder außerhalb der Kirche und auf deren Kosten zu vermitteln, je nachdem wie die Opfer dies wünschen. Ihnen ist a priori Aufmerksamkeit und Respekt entgegen zu bringen. Zusätzlich hat die Anlaufstelle alle kirchen- und strafrechtlich erforderlichen Schritte zu unternehmen, damit das angezeigte Fehlverhalten entsprechend verfolgt werden kann.
- Die Bischöfe müssen bei Verdacht und bei Beschuldigungen eine klare Vorgehensweise festlegen, die dem Schutz der Opfer gerecht wird. Bei nachgewiesenem Missbrauch muss unverzüglich nach dienstrechtlichen Bestimmungen entschieden werden.
- Möglichst zügig vereinbart die neutrale Anlaufstelle mit den Regenten der Priesterseminarien, den Leitungen der Pastoralkurse sowie mit den Dozenten an den Hochschulen und Universitäten einen Ausbildungsplan, der sicherstellt, dass künftigen Priesteramtskandidaten und hauptamtlich in der Seelsorge Tätigen klar wird, welche Verantwortung sie bei der Ausübung von Leitungsaufgaben haben und welche Konsequenzen bei Machtmissbrauch – in welcher Form auch immer – drohen. Vor Eintritt in die Priesterseminarien müssen Eignungsprüfungen sicherstellen, dass nur Interessenten zum Zug kommen, die verantwortungsbewusst mit ihrer neuen Aufgabe umgehen. Das erweiterte polizeiliche Führungszeugnis ist Teil dieser Prüfungen.
- Vor diesem Hintergrund stellt sich auch die Frage nach den künftigen kirchenrechtlichen Zugangsbedingungen zum Priesterberuf. Die bisherigen Hauptkriterien männlich und unverheiratet sind jedenfalls nicht zukunftsweisend.
- Grundsätzlich muss darauf geachtet werden, in den Leitungsfunktionen der Kirche, insbesondere bei der Ausbildung von Priestern und hauptamtlich in der Seelsorge Tätigen, aber auch in Schulen und Heimen den Anteil von Frauen zu erhöhen.
- Die neutrale Anlaufstelle überprüft in Abstimmung mit der Landesstelle für Katholische Jugendarbeit sowie der verbandlichen Jugendarbeit in den sieben bayerischen Diözesen die vorhandenen Pläne zur Ausbildung von Leitungsverantwortlichen für Jugendgruppen in den Pfarrgemeinden. Diese Pläne sollen auf eine positive Sexualpädagogik und –ethik aufbauen und bei Bedarf modifiziert werden. Damit soll die nötige Sensibilität bei den Leitungsverantwortlichen, gerade aber auch bei den Pfarrern und hauptamtlich in der Seelsorge Tätigen erreicht werden, möglichen Missbrauch – auch außerhalb kirchlichen Handelns – rechtzeitig zu erkennen, besser noch ihm vorzubeugen. Alle Kinder und Jugendlichen müssen die Möglichkeit haben, sich direkt mit Beschwerden oder Anzeigen über Machtmissbrauch in jeglicher Form an die neutrale Anlaufstelle wenden zu können. Dazu müssen in der Stelle geeignete Personen zur Verfügung stehen und die technischen Voraussetzungen vorhanden sein.
- Die Anlaufstelle hat alle kirchlichen Einrichtungen sowohl im Bereich der Diözesen als auch im Bereich der Orden, in denen Kinder und Jugendliche betreut und beaufsichtigt werden, dazu anzuhalten, dass jede Einrichtung ein eigenes Beschwerdemanagement organisiert, aber dass sich die Kinder und Jugendlichen auch direkt an die neutrale Anlaufstelle wenden können.
- Die neutrale Anlaufstelle hat einen Kontrollplan zu erarbeiten, aufgrund dessen in ganz Bayern regelmäßig kirchliche Einrichtungen unangemeldet daraufhin überprüft werden, ob es Fälle von Missbrauch gibt oder gegeben hat, die nicht gemeldet wurden.
- Alle plausiblen Fälle von Missbrauch hat die Anlaufstelle kirchen- und strafrechtlich zur Anzeige zu bringen.
Das schließt Bischöfe und Ordensobere als Beschuldigte ein. - Die neutrale Anlaufstelle muss personell und strukturell rasch in die Lage versetzt werden, die genannten Aufgaben ohne Einschränkungen übernehmen und erfüllen zu können. Über ihre Tätigkeit soll regelmäßig und transparent berichtet werden, soweit dies der personenbezogene Datenschutz zulässt.
- Die Finanzierung der neutralen Anlaufstelle muss dauerhaft gesichert sein; als Vorbild und Modell kann der Heimkinderfonds dienen, der unter Beweis stellt, dass eine solch komplexe Aufgabe gut erfüllbar ist.
Nur wenn es gelingt, eine Veränderung im Denken aller Verantwortlichen in unserer Kirche zu erreichen, können wir verlorenes Vertrauen wieder zurückgewinnen. Der zentrale Auftrag der Kirche ist, die Botschaft eines menschenfreundlichen Gottes zu verkündigen. Dazu braucht es Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Die Menschen werden aber nur dann bereit sein, wieder Vertrauen zu haben, wenn wir ihnen nachweislich mehr Respekt entgegenbringen.
München, 27. September 2018
Vom Präsidium des Landeskomitees der Katholiken in Bayern einstimmig beschlossen.
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