Als Papst Franziskus im März 2016 sein nachsynodales Schreiben „Amoris laetitia“ (AL) veröffentlichte, schwankten die Reaktionen innerhalb der katholischen Kirche zwischen Genugtuung, Staunen und Kopfschütteln, während der Text in der breiten Öffentlichkeit als selbstverständlicher, ja längst überfälliger Schritt der Kirche aufgenommen wurde.
Das mehr als 300 Nummern umfassende Schreiben will eine Hilfe für alle in der Seelsorge Tätigen sein, um in der heutigen Zeit auf Familien und ihre Bedürfnisse adäquat zu- und eingehen zu können. Gleichzeitig will das Schreiben den Gläubigen selbst Grundlagen des liebevollen Zusammenlebens in Ehe und Familie in Erinnerung rufen, die biblische Botschaft und auch kirchliche Lehre sind. Dazu greift Papst Franziskus auf die Ergebnisse der beiden von ihm einberufenen Familiensynoden in den Jahren 2014 und 2015 zurück.
Die Aussagen von „Amoris laetitia“ entstanden also nicht aus einer spontanen Laune eines Einzelnen heraus, sondern basieren auf ausführlichen, ehrlichen und offenen Aussprachen während der beiden Synoden. Die dort geäußerten Erfahrungen sowie die in den weltweiten Umfragen genannten Antworten aus den Ortskirchen haben Papst Franziskus dazu bewogen, dieses Schreiben der Kirche und der Welt zu übergeben.
Im Januar 2017 hat schließlich die Deutsche Bischofskonferenz „Amoris laetitia“ in einem eigenen „Wort der Bischöfe“ aufgegriffen, um zu einer „erneuerten Ehe- und Familienpastoral“ einzuladen.
Dieser Hintergrund ist nötig, um Absicht und Wirkung von „Amoris laetitia“ einordnen zu können. Der Text greift auf zahlreiche Quellen der Heiligen Schrift und der kirchlichen Lehre zurück. Wir wollen und können hier keinen umfassenden Kommentar abgeben, sondern möchten deutlich machen, dass die Botschaft des Schreibens unmissverständlich und wesentlich breiter angelegt ist, als die viel zitierten und umstrittenen Passagen nahelegen:
- Dem Papst ist bewusst, dass Paare und Familien heute unterschiedlichen Belastungen ausgesetzt sind, die dauerhafte liebevolle Beziehungen erschweren können.
- Deshalb sollte Familie auf einer funktionierenden, fruchtbaren Beziehung von Mann und Frau aufbauen und zärtliche Begegnungsräume schaffen.
- In mehreren Abschnitten befasst sich das Schreiben mit den Eigenschaften der Liebe, von denen wir hier einige bedeutsame aufgreifen wollen:
- sich liebevoll begegnen
- uneigennützig sein
- den Anderen wertschätzen
- nach dem Wohl des Anderen streben
- versuchen zu lieben und nicht geliebt zu werden
- vertraut werden
- zärtlich bleiben
- Um liebenden Paaren die Verantwortung für ihre Beziehung und für eine spätere Familie vor Augen zu führen, formuliert der Papst einen besonderen Anspruch an die gesamte Gemeinde. Dazu zählt er die Ehevorbereitung und mehr noch die dauerhafte Begleitung durch Gemeinde und Freunde.
- Papst Franziskus sieht alle Beteiligten besonders gefordert, wenn Ehen zerbrechen und die ehemaligen Partner neue Beziehungen eingehen, wenn also aus kirchlicher Sicht „irreguläre Situationen“ entstehen. Hier plädiert der Papst als Jesuit für eine spezifische Fallbetrachtung, die Unterscheidungen erfordert. Leitendes Prinzip soll auch hier die Barmherzigkeit sein. Schließlich sei es möglich, dass „man mitten in einer objektiven Situation der Sünde (…) in der Gnade Gottes leben kann, dass man lieben kann und dass man auch im Leben der Gnade und der Liebe wachsen kann, wenn man dazu die Hilfe der Kirche bekommt.“ (AL 305) Danach folgt die berühmt gewordene Fußnote, die einen Zugang zu den Sakramenten eröffnen will und von manchen Seiten innerhalb der Kirche dem Papst zum Vorwurf gemacht wird: „In gewissen Fällen könnte es auch die Hilfe der Sakramente sein.“
Mit diesen Hinweisen wollen wir als Landeskomitee der Katholiken in Bayern dazu anregen, sich mit dem gesamten Text von „Amoris laetitia“ und dessen Botschaft zu befassen. Nur so wird deutlich, dass sie unterstützend, barmherzig und ermutigend ist – nicht mehr und nicht weniger. Auch die Deutsche Bischofskonferenz sieht diese Passagen eingebettet in umfassendere Aussagen zu Liebe, Verantwortung, Verlässlichkeit und Vertrautheit, die eine Ehe ausmachen sollen.
Auch die Konsequenzen für das pfarrliche Leben und die entsprechenden Beratungs- und Begleitstrukturen sollen sich daran orientieren.
Wenn Beziehungen trotz aller Begleitung, allen Bemühens und aller Fürsorge dennoch zerbrechen, wird die Kirche die Menschen nicht mit der vermeintlich reinen Lehre erreichen. Denn was soll diese reine Lehre sein? Auf ewig verurteilt und ausgeschlossen zu sein? Mit Papst Franziskus sagen wir klar und unmissverständlich: „Es geht darum, alle einzugliedern; man muss jedem Einzelnen helfen, seinen eigenen Weg zu finden, an der kirchlichen Gemeinschaft teilzuhaben, damit er sich als Empfänger einer ‚unverdienten, bedingungslosen und gegenleistungsfreien‘ Barmherzigkeit empfindet.“ (AL 297)
Wenn nun ausgerechnet diejenigen, die sich bislang der besonderen Treue zum Heiligen Vater gerühmt haben, meinen, in eine Fundamentalkritik an Papst Franziskus einstimmen zu können, diskreditieren sie nicht den Papst, sondern sich selbst und ihre eigene Glaubwürdigkeit. Früher waren sie es, die solche, die auch nur den Hauch einer Kritik zu äußern wagten, der Häresie bezichtigten.
Man darf davon ausgehen, dass der Papst mit der schweigenden Mehrheit der Gläubigen sehr wohl um die hohe Qualität einer liebevollen Beziehung weiß. „Amoris laetitia“ will Mut machen und nicht ausgrenzen. Sofern sie sich nicht selbst von Papst und Kirche distanzieren, haben alle Anspruch auf Hilfe, Barmherzigkeit und nachsichtigen Umgang.
Vom Präsidium des Landeskomitees der Katholiken in Bayern in seiner Sitzung am 29. Januar 2018 einstimmig beschlossen.
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