„Den Skandal der Massenarbeitslosigkeit beseitigen“
Landeskomitee der Katholiken in Bayern zur Zukunft des Sozialstaates
Signale bei Tarifpartnern, in Familienpolitik und Sozialsystemen nötig
Weiden/Opf., 13. November 2004 (ILK) Der Skandal der seit Jahrzehnten anhaltenden Massenarbeitslosigkeit muss beseitigt werden. Dies ist eine zentrale Grundforderung, die das Landeskomitee der Katholiken in Bayern am Samstag, 13. November, im oberpfälzischen Weiden in einer sozialpolitischen Positionsbestimmung einstimmig verabschiedet hat. Die aus allen sieben bayerischen Bistümern stammenden Mitglieder des Landeskomitees verlangten unter anderem, dass in den Tarifrunden der kommenden Jahre die Interessen der Arbeitslosen auf einen Arbeitsplatz im Vordergrund stehen müssten.
Von den Tarifpartnern wird erwartet, dass sie jetzt Signale setzen. Wörtlich heißt es in der auf einen „zukunftsfesten Sozialstaat“ zielenden Erklärung: „Wenn schon Arbeitslose nicht am Verhandlungstisch sitzen, wofür wir mit Nachdruck eintreten, müssen ihre Interessen von beiden Sozialpartnern vertreten werden.“ Dies verlange Lohntarife und Arbeitszeitregelungen, „die eine Beschäftigungsexpansion bringen, von der Arbeitslose profitieren.“ Ein Verzicht auf Lohnerhöhungen für zwei bis vier Jahre sollte nicht nur mit mittel- oder längerfristigen Beschäftigungsgarantien für diejenigen, die Arbeit haben, sondern mit zusätzlicher Beschäftigung von Arbeitslosen verbunden werden.
Angesichts der dramatischen demographischen Entwicklung in Deutschland verlangt das Landeskomitee ein neues Konzept der Generationengerechtigkeit für die Alterssicherung. Es sei „hohe Zeit“ neben der Sanierung und Stabilisierung der öffentlich-rechtlichen Alterssicherung eine „starke Ergänzungssäule“ zu entwickeln. Eine auf Eigeninitiative aufbauende Alterssicherung sei neben ergänzenden Betriebsrenten unverzichtbar. In diesem Zusammenhang wurden vor allem auch wirksame Verbesserungen der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit gefordert. Die vom Landeskomitee und katholischen Verbänden immer wieder erhobene Forderung nach einem „Familiengeld“ sei berechtigter denn je. Es sei nicht zu übersehen, dass neben anderen Gründen die finanziellen Lasten ein großes Hemmnis darstellten, den Wunsch nach Kindern umzusetzen.
Mit Nachdruck spricht sich das Landeskomitee dafür aus, den sozial Schwachen in Solidarität ein Leben in Würde zu ermöglichen. Die wirklich Hilfsbedürftigen müssten auch in Zukunft soziale Hilfeleistungen bekommen. Die Gesellschaft bestehe nicht nur aus „Starken und Strammen“. Behinderten, Benachteiligten, Ungelernten oder Alleinerziehenden fehle es nicht am Willen zur Eigenverantwortung oder zur Eigeninitiative. „Wir kritisieren, dass finanzielle Streichungen ohne genaue Wirkungsanalyse die sozial Schwachen am stärksten treffen“, heißt es in der Positionsbestimmung. Es dürfe auch nicht sein, dass nur finanziell gut gestellte alte Menschen sich künftig ihres Alters erfreuen könnten, während ältere Sozialhilfeempfänger und einkommensschwache Rentner zunehmend unter Arztgebühren, Zuzahlungen zu Medikamenten, mit einem eigenen vollen Beitrag zur Pflegeversicherung, Nullrunden bei den Renten, Entgeltkürzungen für Heimbewohner und Umquartierungen in Doppelzimmer unter „Nadelstichen“ zu leiden hätten.
Von einer gerechten Lastenverteilung verspricht sich das Landeskomitee neue Impulse für Eigenverantwortung und sogar „eine Aufbruchstimmung in eine aktive Bürgergesellschaft“. Einerseits werde mehr Initiative der Einzelnen gefordert als bisher, andererseits müsse aber auch künftig bei großen Wechselfällen des Lebens das erforderliche Maß an sozialem Beistand gewährt werden. Dazu seien Sozialinvestitionen in der schulischen und außerschulischen Bildung, für Familie und Beratung erforderlich. Bürger müssten zur Teilhabe an der Gesellschaft befähigt, nicht alimentiert werden. (wr/ua)
Fehlt den Sozialreformen in Deutschland „eine Seele“?
Sozialpolitiker Seehofer: Kirchen sollen wieder „Mahner“ sein
Weihbischof Losinger: Die junge Generation nicht benachteiligen
Weiden/Opf. 12. November 2004 (ILK) Die sozialpolitischen Reformen in Deutschland bedürfen dringend geistiger Verankerung und einer Besinnung auf das Gemeinwohl. Dies ist das Fazit einer Podiumsdiskussion, die das Landeskomitee der Katholiken in Bayern bei seiner dem Thema „Zukunftsfester Sozialstaat“ gewidmeten Herbstvollversammlung am Freitag, 12. November, im oberpfälzischen Weiden unter anderem mit Vertretern aus Wissenschaft und Politik führte. Mehrfach wurde geäußert, den politischen Reformvorhaben fehle „eine Seele“.
Der Sozialpolitiker Horst Seehofer (CSU) warnte vor einer Reduzierung auf Finanzen und Aktienkurse in der wirtschafts- und sozialpolitischen Diskussion, die er „die Geißel unserer Zeit“ nannte. An die Kirchen appellierte er, wieder Mahner zu sein und auf die Grundsätze hinzuweisen, nach denen die Gesellschaftspolitik gestaltet werden solle. Das Gesundheitssystem in Deutschland steht nach Seehofers Eindruck total unter einem ökonomischen Diktat. Er rief dazu auf, zu fragen, was hinter den Zahlen geschehe und wie es beispielsweise mit der Versorgung von kranken Menschen stehe. Für ihn bleibe die christliche Soziallehre der Kompass. Wichtigste Zielsetzung der Wirtschaftspolitik müsse es sein, aus Empfängern von Arbeitslosengeld wieder Steuer- und Beitragszahler zu machen. Den Menschen müsse wieder Zuversicht und Optimismus vermittelt werden.
Auch der Augsburger Weihbischof Anton Losinger sprach sich dafür aus, bei allen Reformbemühungen wieder stärker auf den Menschen zu achten. Statt beispielsweise ständig zu fragen, was der soziale Friede koste, müsse die Frage in den Vordergrund rücken, was der soziale Friede für ein ökonomisches System wert sei. Losinger wies auf gravierende Auswirkungen der gegenwärtigen Reformen auf die junge Generation hin. Notwendig seien vor allem eine gute Familienpolitik, eine vernünftige und solide Bildungspolitik, die über das Ökonomische hinausweise, und eine Berücksichtigung der „demografischen Wende“, die zweifellos junge Menschen benachteilige. Es dürfe nicht zu einer Aufkündigung des Generationenvertrages kommen.
Der Arbeitsmarktforscher Professor Ulrich Walwei, Nürnberg, sagte, der sich gegenwärtig vollziehende Wandel dürfe nicht nur als Risiko, sondern müsse auch als Chance betrachtet werden. Er empfahl, Flexibilität im Wirtschaftsleben und soziale Sicherung besser mit einander zu verbinden. Aus gewerkschaftlicher Sicht forderte der Betriebsratsvorsitzende Rudi Großmann, Mitglied im Bundesausschuss der Katholischen Arbeitnehmerbewegung Deutschlands (KAB), stärker nach der Verantwortung der Wirtschaft zu fragen, statt immer wieder den Arbeitnehmern und Gewerkschaften „den schwarzen Peter zuzuschieben“. Bei einem Gottesdienst für die Mitglieder des Landeskomitees sagte der Regensburger Generalvikar, Wilhelm Gegenfurtner, die Reformdiskussion sei zu sehr von Angst geprägt. Der christliche Glaube müsse Orientierung vermitteln und Antworten auf die Fragen gerade auch der jungen Menschen nach dem Sinn des Lebens geben. Angst sei keine Dimension für einen richtungweisenden Glauben.
Seehofer: Verhandlungen mit der CDU über Gesundheitsreform noch im Fluß
Am Rande der Vollversammlung hatte sich Seehofer auch über die Verhandlungen von CDU und CSU über die Gesundheitsreform geäußert. Die Dinge seien noch im Fluss. Geschlossenheit sei nicht schon für sich eine Tugend. Es sei auch schon das Falsche geschlossen vertreten worden, um es wenig später wieder zurückzunehmen. Jüngstes Beispiel dafür sei die Pläne über die Lehrmittelfreiheit in Bayern, die nach Elternprotesten richtigerweise wieder korrigiert worden seien. Das Ideal der Politik sei es, „das Richtige geschlossen“ zu vertreten. Seehofer teilte mit, er habe über die Verhandlungen mit der Schwesterpartei den ganzen Nachmittag mit dem Parteivorsitzenden Ministerpräsident Stoiber telefoniert. (wr/au)
Sozialreformen müssen die Schwachen im Blick behalten
Vorsitzender Mangold: Solidarität darf nicht auf der Strecke bleiben
Weiden, 12. November 2004 (ILK) Das Landeskomitee der Katholiken in Bayern fordert bei den notwendigen Sozialreformen und dem Umbau des Sozialstaates mehr Rücksicht auf die Schwächeren in der Gesellschaft. Zum Auftakt der Herbst-Vollversammlung des Landeskomitees erklärte der Vorsitzende Helmut Mangold am Freitag, 12. November, im oberpfälzischen Weiden, man könne denjenigen, die ohnehin mit einem Existenzminimum leben müssten, nicht noch ein paar Prozente wegnehmen, ohne sie in Armut zu stürzen. Die Vollversammlung behandelt als zentrales Thema einen „zukunftsfesten Sozialstaat“ und wird eine an Politik und Wirtschaft gerichtete Positionsbestimmung vornehmen.
Im Mittelpunkt aller Bemühungen müsse die unantastbare Würde jeder menschlichen Person stehen, erklärte Mangold. Dies müsse auch Grundlage aller sozialpolitischen Entscheidungen bleiben. Eine Konsequenz daraus sei auch die Forderung, dass Arbeit wieder für alle Menschen verfügbar sein müsse. Entsprechend rufe das Landeskomitee dazu auf, die Massenarbeitslosigkeit abzubauen und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Für die Versorgung im Alter forderte Mangold ein „generationengerechtes System der Alterssicherung“. Bei allen sozialpolitischen Maßnahmen müsse eine Balance zwischen sozialem Ausgleich und wirtschaftlicher Effizienz gewährleistet werden.
In der aktuellen Diskussion um die Streichung von Feiertagen oder alternativ um eine Verlängerung der Arbeitszeit, wandte sich der Vorsitzende des Landeskomitees gegen alle Versuche, kirchliche Feiertage zur Disposition zu stellen. In diesem Zusammenhang erneuerte er seinen Appell, den Pfingstmontag künftig verstärkt mit ökumenischen Gottesdiensten zu begehen, um auf dem Weg zur Einheit der christlichen Konfessionen voranzukommen. Wenn es gelänge, diesem Tag einen überkonfessionell christlichen Charakter zu geben, könnten ständige Zugriffsversuche auf den Pfingstmontag leichter abgewehrt werden, als wenn die beiden großen Konfession getrennt agierten.
Zum sogenannten Kopftuch-Streit und der daraus resultierenden Rechtsprechung lobte Mangold den bayerischen Weg, der für das Land eine möglichst tolerante und liberale Regelung vorsehe. Er äußerte allerdings auch die Befürchtung, dass vor allem durch höchstrichterliche Rechtsprechung und eine rigorose Praxis in manchen Bundesländern eine Kettenreaktion ausgelöst werden könnte, die schließlich zum Verbot aller religiösen Symbole, auch der christlichen, in staatlichen Einrichtungen führen könne. Scharf kritisierte der Vorsitzende des Landeskomitee die Zurückweisung des italienischen Politikers Rocco Buttiglione als EU-Kommissar für Justiz durch eine Mehrheit des Europäischen Parlaments. Dieses habe mit seiner auf die persönliche Glaubensüberzeugung Buttigliones zielende Ablehnung des Politikers ein „geradezu erschütterndes Bild von religiöser Intoleranz“ geboten.
Um den europa- und weltweit wachsenden Tendenzen zur Aushöhlung des Lebensschutzes wirkungsvoller entgegenzutreten, sucht das Landeskomitee eine verstärkte Zusammenarbeit und den Schulterschluss mit der Katholischen Aktion Österreichs. Dabei gehe es darum, in der anhaltenden Auseinandersetzung über eine gesetzliche Regelungen der aktiven Sterbehilfe, des Klonens menschlicher Embryonen für Forschungszwecke und auch für Vorstöße im Bereich der Gen-Technik die ethischen Grenzmarkierungen bewusst zu machen. (wr)