Auch künftig keine einheitliche Politik in Europa zu erwarten
Historiker Michael Wolffsohn: „Das bleibt ein schöner Wunschtraum“
Der islamistischen Gefahr mit Hilfe der Türken begegnen
München, 19. März 2003 (ILK) Vor dem Hintergrund des aktuellen Irak-Konflikts hat sich der Münchner Historiker, Professor Michael Wolffsohn, skeptisch über eine künftige einheitliche europäische Politik geäußert. Auf absehbare Zeit werde es nicht nur bezüglich des Nahen Ostens, sondern auch bezüglich anderer Regionen keine einheitliche europäische Politik geben. „Die Hoffnung auf ein vereintes Europa in der Gestaltung einer einheitlichen Politik ist ein schöner Wunschtraum“, erklärte Wolffsohn in einem Gespräch mit der vom Landeskomitee der Katholiken in Bayern herausgegebenen Zeitschrift „Gemeinde creativ“.
Der jüdische Wissenschaftler, der an der Universität der Bundeswehr in München Neuere Geschichte, insbesondere Geschichte der internationalen Beziehungen, lehrt, ist der Auffassung, realistisch betrachtet sei für Europa nicht mehr als eine „staatenbündische Koordinierung“ zu erwarten. Im Hinblick auf die gegenwärtige Uneinigkeit der europäischen Länder in der Irakpolitik nannte er es eine „völlig unrealistische Erwartung“, dass es ausgerechnet auf dem Gebiet der Außenpolitik mehr Gemeinsamkeiten geben solle.
Wolffsohn erwartet „einen Krieg, den die Amerikaner und Briten beginnen werden, wenn Saddam Hussein nicht die letzte Chance nutzt, die ihm geboten wird“. Er erwarte keine Auswirkungen auf Israel, es sei denn, der Irak würde Israel mit biologischen oder chemischen Waffen angreifen. Dies käme jedoch einem „kollektiven Selbstmord“ gleich. „Dann wird es einen israelischen Schlag geben, wohlgemerkt als Gegenschlag und nicht als Erstschlag,“ sagte Wolffsohn. Der deutschen Politik empfahl er „am besten Zurückhaltung gegenüber der Region“. Deutschland habe gegenüber Israel „eine historische, mit Sicherheit keine militärische Verpflichtung“. Israel brauche keine militärische Hilfe, „schon gar nicht von der Bundeswehr, die für einen Kampf außerhalb der eigenen Grenzen nur höchst unzureichend ausgerüstet und vorbereitet ist“.
Die Türken in Deutschland sieht Wolffsohn als Chance, einer islamistischen Gefahr zu begegnen. Es gebe heute in der Türkei eine stärkere islamische Rückbesinnung, aber keine „islamistisch-fundamentalistische Kehrwendung“. Das Verhältnis zur islamischen Welt könne, wenn überhaupt, nur mit Hilfe von Türken überbrückt werden. „Diese Chance sollten wir wahrnehmen, nicht aber in eine Hysterie verfallen und meinen, dass nun eine neue islamistische Welle auf Europa zu kommt.“ Gerade mit Hilfe von Türken wäre der Brückenschlag denkbar. Die Türkei sei der beste Verbündete einer Ausgleichspolitik zwischen Abendland und Morgenland. Es gebe zwar eine islamistische Gefahr. Sie gehe aber mit Sicherheit nicht von den türkischen Gruppierungen in Deutschland aus. (wr)