Gesine Schwan fordert erweiterten Begriff von Eliten
Spezialwissen mit der Verantwortung für das Ganze zusammenbringen
„Großes Umdenken“ im Bereich Familie und Erziehung notwendig
München, 4. August 2004 (ILK) Für einen erweiterten Begriff von gesellschaftlichen Eliten hat sich Gesine Schwan, Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, ausgesprochen. In einem Interview für die vom Landeskomitee der Katholiken in Bayern herausgegebenen Zeitschrift sagte sie: „Es gibt nur Eliten. Es gibt nicht ‚die‘ Elite.“ In der Gesellschaft müsse es immer einen gewissen Prozentsatz an Menschen geben, die mehr Verantwortung übernähmen als andere. Es brauche „Menschen, die über ihre Spe-zialkenntnisse hinaus die großen Zusammenhänge nicht aus den Augen verlieren“. Menschen, die in ganz unterschiedlichen Bereichen Verantwortung tragen, könnten die Ansprüche, Befindlichkeiten und Motive, die in der Gesellschaft vorhanden seien, miteinander in Vereinbarung bringen.
Es gebe beispielsweise „ökonomische Eliten“. Dies seien Verantwortungsträger wie Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Gewerkschaftsvertreter, die ihr Spezialwissen mit der Verantwortung fürs Ganze zusammenbringen müssten, so Schwan. Unter Elite dürften jedoch nicht nur jene Leute verstanden werden, die den ökonomischen Fortschritt voranbrächten. Gegenwärtig werde der Elitenbegriff oft von denen propagiert, die nur den eigenen Bereich kennen und sich nicht in verschiedenen Bereichen zurechtfänden. Die Aufgabe der Kirche sieht die praktizierende Katholikin Schwan darin, den Elitebegriff zu „enthierarchisieren“. Die Kirche könne darauf hinweisen, welche Vielfalt an Eliteaufgaben es gebe. Sie könne auch deutlich machen, dass soziales Engagement und die für soziale Belange Verantwortlichen zu den Eliten gehörten, die eine Gesellschaft brauche.
Um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen, forderte Schwan in der Gesellschaft ein „großes Umdenken“ in der Kindererziehung. Es gebe immer noch gesellschaftliche Schichten, die die Ansicht verträten, dass Frauen zu Hause bleiben sollten. Das Umdenken müsse in die Richtung stattfinden, dass Väter und Mütter sich gleichermaßen gerne um die Kinder kümmerten. Es sei in der Vergangenheit bereits gut gelungen, Frauen durch Bildung und Ausbildung mit Kompetenzen auszustatten. In Zukunft gehe es viel mehr als bisher darum, Beruf und Familie miteinander vereinbar zu machen. Dazu müsse die Gesellschaft auch verstehen, akzeptieren oder sogar propagieren, dass der Karrierehöhepunkt bei Männern und Frauen nicht mit der Hauptfamilienzeit übereinstimme. (ua)